Die Form des Alphorns


Wenn Freunde von mir in den Bergen wandern, kommen sie nicht selten auf mich zu sprechen. Sie sehen einen krumm gewachsenen Baum und sofort sagen sie, das wäre wieder ein Alphornbaum für Bernhard. Der am Wurzelstock krumm gewachsene Baum eignet sich besonders, um ein schönes Horn mit geschwungenem Becher zu machen. Freilich könnte ein Horn auch vollkommen gerade sein. Es würde genauso klingen. Aber es wäre nicht ganz praktisch und sieht auch nicht so gut aus. Der Schwung des Bechers will den Ton hinaus befördern.

Ich habe mehrere Hörner aus am Wurzelstock krumm gewachsenen Fichten gebaut. Das war ein mühsames Geschäft. Zunächst mußte die in Hanglage stehende Fichte gefällt werden, um sie dann mit erheblichem Aufwand zu verladen und vor Ort zu bringen. Die ersten Bäume wurde einige Monate in einem Bach gewässert. Damit sollte das Eiweiß aus dem Holz austreten.

Nach USA mit grünen Hörnern

Einmal war ich gezwungen, da die zweiteiligen Alphörner für eine Amerika-Tournee nicht ins Flugzeug paßten, innerhalb weniger Wochen vier neue Hörner, die dreiteilig sein sollten, anzufertigen. Mit Mühe fand ich vier krumme Bäume, fällte sie und gab ihnen groß die Außenform. Dann begann das abenteuerliche Geschäft, an einer großen Bandsäge den Baum genau in der Mitte durchs Herz aufzusägen, so daß zwei Hälften entstanden. Bei 4,5 Metern Länge ist das nur mit zwei Personen zu schaffen. Anschließend wurden die aufgeschnittene Hälften auf der Hobelmaschine glatt gehobelt. Nach dem Anreißen der endgültigen Form mußte eiligst die Innenform ausgearbeitet werden, um die zwei paßfertigen Hälften sofort zusammenzuleimen. Wurde nicht schnell genug gearbeitet, drehten sich die Hälften wie Korkenzieher.

Die Zimmer- oder Schreinermeister, deren Maschinen ich traktierte, hielten mein Unternehmen für die Amerika-Tournee für undurchführbar. Das frische, grüne Holz würde sofort aufplatzen. Und klingen tue das auch nicht. Was blieb mir anderes, als es zu versuchen? Nun, obwohl noch Wochen zuvor die Vögelein in diesen Fichten sangen, gelangen vier prächtige, aus grünem Holz gefertigte Alphörner in Es. Sie paßten in das Flugzeug und hielten dem ungemein heißen Sommer jenes Jahres mit Auftritten und Konzerten in 42 Städten durch mehrere Staaten des amerikanischen Westens stand. Dies zur Freude sehr vieler Leute.

Das Wurzhorn

Diese Hörner waren also "Naturhörner". Sie hatten eine dem Wuchs des Baumes nach gearbeitete Form. Jedes Horn sieht da etwas anders aus. Solchen Hörnern begegnet man heute nicht allzu oft. Ebenso selten sind die "Wurzhörner". Das sind aus dünnen Fichtenbäumchen gefertigte kurze Hörner, die unten möglichst einen Bogen haben sollten. Die in hohen Lagen dürftig gewachsenen Bäumchen sind krumm und astig. Das Bäumchen wird geschält, aufgeschnitten, ausgehöhlt und zusammengeleimt. Man läßt die Astansätze und Krümmungen wie sie sind. Solche Wurzhörner sind äußerst originell im Aussehen und ihrem hellen hohen Klang. Sie werden auch nicht mit Peddigrohr umwickelt.

Die oft meisterlichen Alphornbauer in unserem Land fertigen wunderschöne Instrumente an. Einmal besuchte mich ein benachbarter Schreinermeister, der ein Alphorn in aufgewickelter Form wie ein Sousaphon anfertigte. Das Instrument war vollkommen aus Holz und mit Peddigrohr umwickelt. Alle Töne stimmten. Eine Meisterleistung auch, wie die Mundstückhalterung gelöst war.

Überraschende Erkenntnisse

In meinem Bemühen, bei Nachfrage zu erklären, wie ein Alphorn aussehen und gebaut werden kann, erlebte ich einmal eine besondere Überraschung. Ein Alphornist fragte mich, ob er mich besuchen dürfte, er wolle mir sein Horn zeigen. Dann brachte er eine zum Alphorn umgebaute lange Orgelpfeife aus Holz. Und siehe da, obwohl ich der Ansicht war, nur der gleichmäßig verlaufende Konus vom Mundstück bis zum Becher garantiere den richtigen Sitz aller Töne und die leichte Anblasbarkeit, bestach dieses stumpengerade, blockische und nicht gerade schöne Ding durch leichte Anblasbarkeit und schönen Ton.


In Zeiten ohne Funk, Telefon und elektronische Verstärker mußte zur Benachrichtigung über weite Distanzen die Stimme und, wenn das nicht reichte, ein Signal-Instrument eingesetzt werden. Im Militär nutzte man hölzerne oder besser aus Metall gefertigte trompetenähnliche Instrumente. Schon Mose ließ für Kriegszwecke silberne Trompeten anfertigen, wie sie wohl schon lange vorher beim ägyptischen Militär benutzt wurden. Also waren unter Moses Volk auch Instrumentenmacher. Aus der Bibel erfahren wir, daß mit dem überraschenden und schrecklichen Geräusch der Blasinstrumente Feinde überrascht und überwältigt wurden. Sie kamen zum Beispiel bei der Einnahme der Stadt Jericho zum Einsatz. Zur Einweihung des israelitischen Tempels wurde aber sicherlich aus Freude und Erbauung und zum Lob Gottes geblasen. Der biblische Bericht schildert da ein gewaltiges musikalisches Ereignis.

Bezug zum alten Rom

Auch die Römer hatten in ihren Kampfeinheiten die Tuba- oder Tubenspieler, dem Offiziersrang zuzuordnende Musiker. Der Ruf der Tuben hatte das Kampfgetümmel zu übertönen. Jeder Soldat mußte so viel Musikalität besitzen, um die Signal-Befehle zu verstehen. Übrigens fanden sich die römischen Tubenspieler mit ihren Instrumenten zu festlichen Tibilustrien ein. Dies waren gewaltige Bläsertreffen, die den Glanz römischer Militärmacht wiedergaben. Auf alten Mosaiken finden wir diese alphornähnlichen Instrumente. Aus heute noch üblichen Sprachverbindungen wie Liti, Horn, Hore, Tiba, Tubau, Touta, Tüta oder Tüba für Alphorn ist zu vermuten, daß die römische Tuba der Ahn des heutigen Alphorns ist.

Das Alphorn als Meldeinstrument

Das Alphorn wurde auch für Wach- und Meldeaufgaben eingesetzt. Der Alphornklang trug weit von Tal zu Tal. Ob nun feindliche Truppen über den Bergpaß kamen, oder jemand Nahrungsmittel-Nachschub benötigte, der Käse fertig zum Abholen war, ob Not am Mann war, oder jemand sein Liebchen grüßte, für alles gab es bestimmte Signale und musikalische Motive.


Selbst Tiere folgen dem Klang

Für den Kuhhirten auf der Alm diente das Alphorn auch als Lockinstrument. Die Tiere folgen dem Klang und kommen. Das kann man auf einer Kuhweide selbst ausprobieren. Die Kühe mögen diesen Klang. In Abbildungen sehen wir den Sennen das Alphorn blasen, während die Sennerin mit Melken beschäftigt ist. Ein Hinweis auf die beruhigende Wirkung des Alphornklanges auch auf Tiere. Auch als Bettelinstrument wurde das Alphorn verwendet. Der deutsche Komponist Michael Praetorius vermerkt im Jahre 1619: "Auch findet man gar lange Trumeten / von Past also fest und dichte zusammen ineinander gewunden / darmit die Schaper aussm Voigt und Schweitzerlande / in den Städten herumbher lauffen / und ihre Nahrung suchen."


Die Täler mit der eigenen Stimmung auffüllen

Wenn dann die letzten Sonnenstrahlen über den Bergkamm grüßen, mag es den einsamen Hirten auf dem Berg angekommen sein und er griff zum Alphorn. So mag es eine Abendmelodie geworden sein, ein Motiv, das tief aus dem Spieler kam. Er vermochte durch sein Spiel auszudrücken, was ihn bewegte. Der weit entfernte Hörer erkannte dann auch gleich, wer da spielte und was der Alphornist damit ausdrücken wollte. Man lauschte dann zum Berg hinauf und wer es konnte, mag selbst zum Alphorn gegriffen haben, um dem Freund in der Ferne seine musikalische Antwort zu geben. So sind eigene, bestimmten Gegenden zuzuordnende Alphornmelodien entstanden, die heute noch geblasen werden.


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